"In der Regulatorik liegt auch eine Chance"

Der Energiemarkt-Experte Fabian Reetz berät Gründerinnen und Gründer in der SET Academy zu regulatorischen und anderen Fragen. Dabei spricht er auch aus eigener Erfahrung: Reetz gründet selbst derzeit ein Start-up.

Mit welchen regulatorischen Themen kommen die Gründerinnen und Gründer in der SET Academy auf dich zu?
Die Bandbreite ist groß, schon allein weil die Start-ups unterschiedlich weit sind. Wer schon etwas länger am Markt
ist, hat meist ziemlich konkrete Fragen. Bei ganz frischen Gründungen geht es dagegen eher darum, welche regulatorischen Themen für sie überhaupt relevant sind. Dabei kommt es bei den Treffen oft auch zu einem sehr produktiven Austausch der Teilnehmenden untereinander.

Hast du den Eindruck, dass die Gründerinnen und Gründer den regulatorischen Aufwand richtig einschätzen?
Allen Teilnehmern der SET Academy ist bewusst, dass die Regulatorik ein anspruchsvolles Thema ist. Die Komplexität des rechtlichen Rahmens ermuntert nicht gerade, sich damit zu beschäftigen. Da sind die Treffen aber eine große Chance: Wir zeigen den Teilnehmern, dass man die energierechtlichen Aufgaben gut in den Griff bekommen kann. Viele
haben mit der SET Academy bei diesem Thema einen Sprung gemacht, da sind schon einige Knoten geplatzt.

Wie können Gründerinnen und Gründer hier konkret vorgehen?
Die meisten Gründerinnen und Gründer arbeiten mit einem Standardgerüst, dem Business Model Canvas, das ihnen hilft, alle Facetten ihres Geschäftsmodells im Blick zu behalten. Da geht es um Fragen wie: Welche Partner brauche
ich, welche Zulieferer, welche Mitarbeiter? Teil dieser Bestandsaufnahme sollte auch ein regulatorischer Check sein. Welche Gesetze, Verordnungen und Standards sind für mich überhaupt relevant? Wer das einmal für sich beantwortet
hat, weiß, welche rechtlichen Themen er oder sie im Blick behalten muss – und welche ignoriert werden können. Das
reduziert die Komplexität des Themas erheblich. Und es gibt Gründerinnen und Gründern ein Gefühl dafür, welche
Ressourcen sie für die rechtlichen Aufgaben benötigen. Manche Gründerinnen und Gründer beklagen, dass sich der regulatorische Rahmen laufend ändert.

Liegt darin aber nicht auch eine Chance für Start-ups?
Absolut! Mit der Weiterentwicklung der Regulatorik entstehen laufend neue Spielräume für innovative Geschäftsmodelle.
Besonders viel Potenzial sehe ich dabei im Clean Energy Package der EU: Vor allem mit den Richtlinien zum Energiebinnenmarkt und zu den erneuerbaren Energien eröffnen sich Gründerinnen und Gründern unzählige Chancen. Allerdings muss die Politik bei der Umsetzung der Richtlinien in nationales Recht unbedingt vermeiden, Unternehmen durch eine übermäßige Komplexität der Gesetze und Verordnungen Steine in den Weg zu legen.

Mit „everyone energy“ gründen Sie derzeit selbst ein Start-up. Wie gehen Sie das Thema Regulatorik an?
Mir hilft es z. B. sehr, immer mal wieder das Energiesystem als Ganzes in den Blick zu nehmen: Wie funktioniert es, welche Märkte gibt es, welche Mechanismen liegen ihnen zugrunde? Das macht es mir einfacher, regulatorische Themen
verstehen und einordnen zu können. Zudem habe ich mir angewöhnt, viele Fragen zu stellen, auch vermeintlich
dumme. Dafür nutze ich gerne Twitter. Wenn ich bei einem rechtlichen Punkt nicht weiterkomme, poste ich dazu eine
Frage. Die Energiewende-Community gibt in der Regel sehr bereitwillig und kompetent Auskunft. Und noch ein Punkt,
der meiner Erfahrung nach in der Gründungsphase generell sehr wichtig ist: Ich denke lösungsorientiert. Ich suche nicht nach einem Problem für eine Lösung, sondern eine Lösung für ein Problem.

Ist Deutschland überhaupt ein gutes Pflaster für Gründungen im Energiebereich?
Auf jeden Fall! Es gibt zahlreiche Förderprogramme, Wettbewerbe und Beratungsangebote – Gründerinnen und Gründer bekommen hierzulande enorm viel Unterstützung. Und was die anspruchsvolle Regulatorik betrifft, liegt darin
 Blick auf die Internationalisierung sogar ein Vorteil: Wer sein Produkt, seine Leistung in Deutschland erfolgreich
herausbringt, hat es in Ländern mit weniger regulierten Märkten umso leichter.

Warum braucht es den SET Hub, wenn es bereits so viele Beratungsangebote für Gründerinnen und Gründer gibt?
Weil meines Wissens nirgendwo anders so fokussiert energiespezifisches Fach- und Branchenwissen an Gründer vermittelt wird wie im SET Hub. Das ist wirklich einzigartig. Und dazu kommt, dass der SET Hub als Kommunikationskanal auch in die andere Richtung funktioniert: Wenn gleich mehrere Start-ups durch eine bestimmte regulatorische Regelung behindert werden, findet diese Information über die dena den Weg in die Politik. Für die weitere Gestaltung des rechtlichen Rahmens ist dieser Rückkanal sehr wichtig.


Warum sind Gründerinnen und Gründer für die Energiewende unverzichtbar?
Für den grundlegenden Umbau der Energieversorgung brauchen wir Innovationen. Und die kommen in der Regel
nicht aus den etablierten Unternehmen. Die meisten Platzhirsche fühlen sich schließlich mit dem Status quo sehr
wohl. Frische Ideen und mutige Konzepte sind von ihnen nicht unbedingt zu erwarten. Die Anstöße müssen also von außen kommen – von Start-ups. Wobei manche Konzerne natürlich erkannt haben, dass sie profitieren, wenn sie den Wandel im Energiemarkt aktiv mitgestalten. Einige haben deshalb Start-up-Programme eingerichtet, um die nötige
Innovationskraft, Flexibilität und Kreativität ins Unternehmen zu holen.

 

Interview: Ralph Diermann